Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen! Part 1
Wie ich die Allergie meiner Mutter umging, ihre Nerven strapazierte und das für mich tollste Haustier fand
Meine Liebe und Neugier zum Kreuch und Fleuch entstand noch früher als das sichere Gehen, denn die ersten eigenständigen, aufrechten Fortbewegungsversuche endeten in einer halbdramatischen Rettungsaktion aus dem Teich der Gro??eltern. Unbemerkt hatte ich mich mit nur einem Lebensjahr vom heimischen Picknick im Garten über die Rasenfläche weggeschummelt, da meine kleinen Augen auf dem frischen Grün etwas umherhüpfen sahen-das musste ich unbedingt haben. So trugen mich die wackeligen Beinchen, dem putzigen Wesen verfolgend, Richtung schön angelegtem Goldfischbiotop, denn dorthin versuchte sich der von mir erspähte kleine Wasserfrosch zu retten. Das Amphib sprang elegant ins kühle Nass und ich katapultierte den Kleinkindkörper kopfüber gekonnt hinterher. Es war mein Vater, der windschnittig herbeieilte, mich am Bein wieder aus dem Teich hob und mit mir, in der kleinen Faust halb zerquetschend, den bereits erwähnten Grünling.
Wenn man zurückblickt, war dieser Tag der Beginn einer ganz gro??en Liebe, die entgegen der Hoffnung meiner Mutter nicht nur zu einer dieser berühmten Phasen des Verliebtseins gehörte, sondern wohl anders, als viele andere amouröse Angelegenheiten, auf Lebzeiten geschlossen wurde.
Aus der Verliebtheit wurde dann im Vor-Teenageralter was Ernsteres. Wir bezogen unser Eigenheim in Nähe eines Biosphärenreservats im wunderschönen Spreewald. Dort gibt es neben den Hauptarmen der Spree viele Umfluter und kleinere Entwässerungsgräben, welche neben vielen Fadenalgen zur damaligen Zeit eine unglaubliche Unterwasserwelt beherbergten. Es zogen immer mehr Familien in die Neubausiedlung und mit ihnen die Nachbarskinder, die sich zu den Anglern zählten. Fische an Strippen fand ich schon immer irgendwie doof, aber zu diesem Sport gehört ein für mich interessanter Ausrüstungsgegenstand: der Kescher. Zusammen mit einem gro??en Wäscheeimer und passendem Deckel, eröffnete ich mir die bezaubernde Welt der heimischen Sü??gewässer und ihren fabelhaften Lebewesen. Nach vielem Gequengel zog mein Papa in den örtlichen Baumarkt und besorgte den grö??ten Kescher, den er finden konnte für das Töchterchen, spendierte noch ein Paar Gummistiefel und sah mich daraufhin nur noch selten oder den randgefüllten Eimer schwer schleppend.
So wusste ich also schon frühzeitig, dass es verschiedene Entenarten gibt, wie eigentlich der damals noch oft vorkommende Flusskrebs böse in Fingerchen zwicken kann und, dass der Gelbrandkäfer auch gern einmal an toten Rotfedern mandibelt. Generell konnte ich ziemlich schnell eine Vielzahl an Lebewesen von klein bis gro?? benennen und oftmals sogar ihre Lebensvorgänge und Gepflogenheiten beschreiben. Damals war das für mich völlig selbstverständlich- heute bin ich unheimlich dankbar dafür, all jenes aufs eigene Fäustchen erlebt haben zu dürfen und mir so vielleicht auch den weiteren Werdegang geebnet zu haben. Oft stimmt es mich traurig, wenn ich einen Gro??teil der heutigen Heranwachsenden beobachte und feststellen muss, dass sie a) vieles gar nicht wahrnehmen und b) die einfachste Flora und Fauna nicht bestimmen können. Was war ich doch in meiner von vielen belächelten ???Kleinstadt-Einöde??? mit all ihrer Vielfalt und den Erlebnissen gesegnet!
Irgendwann hing bei den Angelfritzen dann ein fehlgeleiteter Froschlurch in Form des Pelophylax ???esculentus??? am Haken. Er blutete schrecklich aus dem Kopfbereich und wurde mein erster amphibischer Pflegling. Dies war für mich ein absolutes Highlight, war mir doch aufgrund der Tierhaarallergie meiner Mutter bis dato jegliches, gewünschtes Haustier verwehrt geblieben. Nun ja, so ein Frosch besitzt nur eine immerzu feuchte Haut, aber keine Fusseln. Schnell fand ich heraus, dass dieses äu??erst dicke Exemplar ein Weibchen war (was gab es doch damals für schön illustrierte Heimattierbücher) und nannte sie fortan Grünwalda. Durch die aufmerksame Recherche konnte ich schnell verinnerlichen, welche Bedürfnisse so ein Lurch hat und baute ihm nach bestem Wissen und Gewissen ein eigenes kleines Reich. Täglich jagte ich bewaffnet mit einem kleinen Einmachglas durch die uns angrenzenden Felder und fing für meine Froschdame Heuschrecken, buddelte Regenwürmer oder anderes Bodenviehzeug aus- es sollte ihr ja an nichts fehlen. Mit der Pflege des verunfallten Tieres begann dann die wirkliche Liebe und ich wusste schon im zarten Alter von 11 Jahren, dass ein weiteres Leben ohne quakende, hüpfende, lang-schenkelige und haarlose Mitbewohner für mich fortan nicht mehr erstrebenswert sein konnte. Meine Mutter war sich ziemlich sicher, dass diese Meinung sich mit den Jahren verwachsen würde. Ich glaube, dass ihr schon kurze Zeit später, als unser Grundstück aus vielen selbstangelegten kleinen Folienteichen und sämtlichen Fangbehältern bestand, klar wurde, dass diese Liebelei vielleicht nicht nur eine jugendliche Flause sein könnte. Manchmal quakte es daheim mehr, als in den Gräben umher. Ich konnte mittlerweile das Geschlecht und auch die unterschiedlichen Froscharten, die die heimische Fauna hergab, selbst aus der Entfernung ganz sicher bestimmen. Täglich fing mein Kescher um die 50 Amphibien vom Wasserfrosch über den Laubfrosch bis hin zu einem Moorfrosch in Brautfärbung (blau).
Für mich gab es nichts besseres, als meine Zeit mit den Grün- und Braunfröschen des Spreewalds zu verbringen. Solch ein Werdegang gehört leider in die Zeitform des Präteritums, denn heute wären all diese Erfahrungen aus vielerlei Hinsicht (Naturschutz, Artsterben, Rechtsmä??igkeit) gar nicht mehr möglich. Damals interessierte es niemanden, dass das kleine Mädchen wild mit dem Fanggerät im Graben umherflirrte und es im Netz verrückt umherzappelte. Auch nicht, dass ich dieser Hüpfer irgendwann immer bei mir haben wollte und sie heimlich ins Kinderzimmer entführte. Erst als mein erstes Männchen Fridolin (Pelophylax ridibundus) sich unten im Bettkasten durch lautes Gequake bemerkbar machte, wurden meine Eltern auf die au??ergewöhnliche Wahl meiner Haustiere aufmerksam. Ich musste die Genossen natürlich wieder nach drau??en befördern, aber dies nicht für immer. Aber von der Eingliederung der Amphibien in die Wohnareale berichte ich an anderer Stelle weiter.
Bildquelle:Pixabay, Gelbrandkäfer: Bram Koese, Gewone geelgerande, CC BY-SA 4.0